wahrhaftig: sein
So lange habe ich auf diesen Tag hingelebt: Santa Lucia 2023. Nachdem mich Professorin Weisel in der Myelomsprechstunde des UKE über die Hochdosischemotherapie aufgeklärt hatte, hörte sie sich meine Bedenken an. Meine Sorge, mich derart runterzurocken und danach nie wieder die Alte zu werden. Für immer gezeichnet oder gebrechlich zu sein nach dieser Vergiftung. Ich […]
zurück sein
Sono tornata in Sicilia. Den spektakulären Etna-Ausbruch am 1.12. verpasse ich um zwei Tage. Social Media ist voll von atemberaubenden Bildern. T, den ich auch gerne Signor Elastico nenne, war mit dem Fahrrad unterwegs und hat es von Isola aus leuchten sehen, richtig hoch sei die Lavafontäne gewesen. Meine Anreise via Berlin verläuft reibungslos. Sie […]
wütend sein
Ich wache an diesem klirrend kalten Novembermorgen auf und bin wütend. Wütend und enttäuscht, was mir das Schicksal zumutet. SO soll ich jetzt weiterleben?! Ohne meinen Frohsinn, ohne mein inneres Leuchten?! Ich bin nicht nur wütend auf den Krebs, ich bin auch wütend auf M. Im ersten Moment war ich erschrocken, so aufzuwachen, aber je […]
zu Hause sein
Seit zwei Wochen bin ich nun wieder zu Hause. Was bisher ausbleibt, ist die Euphorie über die mühsam herausgeschundene Lebenszeit. „Gewonnene Lebenszeit“ kommt mir nicht über die Lippen. Zumindest eine kleine Freude könnte sich einstellen?! Stattdessen wird mir klar, dass der Krebs wiederkommen wird. Kein Siegesgefühl. Kein „Hurra, ich hab’s geschafft.“ Vermutlich bin ich einfach […]
neugeboren sein
Ein halbes Jahr und einen Tag nach meinem Geburtstag bekomme ich meine aufgetauten Stammzellen zurück. Einige Leute, die ich aus Internetforen oder der Myelom-Selbsthilfegruppe kenne, nennen diesen Tag ihren zweiten Geburtstag. Das alte System, das den Lebenssaft bildete, wurde durch die Hochdosisgabe Melphalan abgeschaltet. Heute folgt also der Reset. Gegen halb elf klopft es und […]
ausgeliefert sein
Um 21 Uhr werde ich in die Anästhesieabteilung im Haupthaus gebracht. Ich musste mir ein OP-Hemd anziehen und in der Schleuse eine OP-Haube, als würde ich operiert. Dabei soll mir ein Zentraler Venenzugang (ZVK) gelegt werden. Ich habe gewaltige Angst davor, denn dieser Katheter wird entweder durch die große Halsvene oder durch die unterm Schlüsselbein […]
umsorgt sein
Die letzten Wochen waren hart. Ich habe mich ausgeliefert gefühlt und unendlich schwach. Mein Immer-noch-Ehemann F. spürt genau, wie es mir geht. Natürlich. Wir kennen uns seit über zwanzig Jahren. Eines frühen Abends bin ich komplett zusammengebrochen, habe nur noch geweint und gezittert, hatte weder Lebensmut noch -willen. Wofür denn das alles, wenn ich doch […]
schön sein
Die Jungs, die mich noch auf dem Gymnasium Brillenschlange nannten, hatte sich beim dreißigjährigen Abijubiläum bei mir entschuldigt. Damals war ich gerade noch mal Mutter geworden, meine Brüste waren voll (um halb zwei so voll, dass sie ausliefen). Ich trug ein maigrünes Neckholderkleid, mein Rücken war trainiert, die Haut goldbraun. Mein Mann vergötterte und vewöhnte […]
aufgeklärt sein
Die Transfusionsmedizin des UKE befindet sich zwar im Erdgeschoss, ich fühle mich aber trotzdem eher wie in einem Kellergang, so in die Jahre gekommen ist die Abteilung. Ein Stiefkind, denke ich. Selbst in der Strahlentherapie, die sich tatsächlich im Keller befindet, sieht es heller und freundlicher aus. Über einer Tür steht Patientenanmeldung. Ich klopfe an […]
kreativ sein
Ich sitze in der Psychoonkologischen Ambulanz des UKE und bin total nervös. Ich warte auf meinen Kunsttherapeuten. Er kommt mich zur ersten Sitzung abholen, um mir den Weg in den Kunstraum zu zeigen. Ich hatte mir sofort gewünscht, auf seine Warteliste gesetzt zu werden, als ich las, dass ich die Möglichkeit hätte, kunsttherapeutisch begleitet zu […]
hilflos sein
Die Hausärztin erfasst meinen schlechten Zustand während ich vom Warte- ins Sprechzimmer humple. Nach einem sehr guten Tag, gestern, an dem ich es gleich wieder übertrieben hatte und an die Alster geradelt war, bin ich tatsächlich übel dran. Sie zeigt sich erschüttert, mich in so schlechter Verfassung wiederzusehen und reitet, noch während ich Platz nehme, […]
zermürbt sein
wieder ein herrlicher Sommertag, an dem ich nicht vor die Tür komme. Die Schmerzen fressenmich auf (und ich zu viel Süßkram) Ich wache um vier auf und bin völlig verquollen im Gesicht. Meine Nase ist verstopft, ich habeSchmerzen im Hinterkopf und Nacken, bin total verspannt. Ich beschließe, liegen zu bleiben und zudösen. Um sechs nehme […]
anders sein
Neuanordnung meiner Einzelteile und ein elektrisches Bein Keine Ahnung, was schief gelaufen ist, wann es gekippt ist, was ich falsch gemacht habe. Typisch, dass ich mich das frage. Eine Schuld bei mir suche. Jedenfalls sind die Schmerzen wieder da. Ob sie tatsächlich stärker sind oder ob es sich nur so anfühlt, nach diesem unglaublichen Freiheitsgefühl, […]
unterwegs sein
Summer in the city. Ich treffe die Künstlerin Judith Boy, höre ein Insektenkonzert und der gesamte Tag entwickelt sich zu einem der schönsten nach langer Zeit Judith Boy und ich haben uns im letzten Oktober in den Kommentaren einer Taueranzeige kennengelernt. Ich saß auf dem Felsen in Siracusa und las fassungslos: Der von mir sehr […]
Tochter sein
Unermesslich, wie schwer es für meinen in diesem Jahr achtzigjährigen Vater ist, dass ich so krank bin. Vor genau zehn Jahren starb seine Frau, meine Stiefmutter, an Krebs. Er wurde so spät entdeckt, dass unzählige kleine Metastasen bereits die Leber und das Bauchfell komplett durchzogen hatten, eine große befand sich im Dickdarm. Der Ausgangstumor konnte […]
verträumt sein
oder abergläubisch? Jedenfalls froh…and thanks for all the fish Mit 27 hatte ich einen Traum, der mich damals und bis heute tief bewegt hat. Zweimal hat er sich bis vor der Diagnose wiederholt: Ich spaziere mit meiner vierjährigen Tochter, ihrem Vater, meinen Eltern und meinem damaligen Geliebten durch den maigrünen Wald über einen buckeligen Pfad, […]
reich sein
Wir treffen uns auf der Stuttgarter Großbaustelle, weil wir alle zusammen und ohne Zwischenlandungen nach Catania fliegen wollen. Meine Töchter kommen gemeinsam aus Halle und Leipzig, mein Sohn und ich aus Hamburg. So eine Wiedersehensfreude und Aufregung in uns allen. Wenige Stunden später sind wir im Süden und verbringen eine Woche gemeinsam in der Stadt, […]
Mama sein
Die Kinder sind in innerer Aufruhr. Jedes auf seine Art. Alle kommen zu mir, so wie es ihre Termine erlauben. Das Jüngste lebt ja ohnehin noch bei mir in Hamburg. So sitzen wir ganz nah aneinander gekuschelt, weinen auch zusammen. Angst und Unmut bekommen Raum, genauso wie all die Liebe, die uns verbindet. Unklar ist, […]
punktiert sein
Ich habe mächtig Bammel vor der Knochenmarkspunktion. Ziemlich schmerzhaft und unangenehm soll so was sein, lese ich im Internet. Meine Freundin C wohnt neuerdings an der Ostsee und findet ständig Herzsteine. Ein winziges Herz mit Loch hat sie mir geschickt, das knote ich an den Zipper meines Rucksacks als Glücksbringer für den Tag. So gerüstet […]
endlich sein
Morgens wache ich auf und brauche ein paar Momente. Dann fällt es mir wieder ein: Ich habe Krebs. Einen unheilbaren Krebs. Ich werde mit oder an diesem Krebs sterben. Mein Leben wird nicht so lange dauern, wie ich es im Innern vor(mir)gesehen hatte. 87 würde ich, hätte drei Kinder und drei Berufe. Drei Frauen durchkreuzten […]
befundet sein
send me a ticket for an aeroplane Ich sitze vor dem UKE Haupteingang in einem Sanitäterzelt der Johanniter. Um zu meiner Befundbesprechung auf die Neurochirurgische Station zu dürfen, warte ich hier auf das Ergebnis meines Coronatests. Mein Noch-Ehehmann F begleitet mich. Sein Test ist schon fertig, meiner dauert noch. Die Zeit läuft uns davon, ziemlicher […]
geschockt sein
und Andere schockieren müssen Der Erste, den ich noch von unterwegs aus anrief, war der Vater meiner zweiten Tochter. Das überraschte mich selbst, denn unser Verhältnis ist nicht gerade ein einfaches. Er ist Internist und Kardiologe. Von Onkologie oder Neurochirugie hat er natürlich keine Ahnung. Ich realisierte den Beweggrund, ihn anzurufen, noch während ich es […]
gefasst sein
„Das ist leider kein Bandscheibenvorfall, Frau Sumalvico.“ Dass es sich tatsächlich um nichts Gutes handelt, wurde mir schlagartig klar, als mir der Radiologe, dessen Praxis ich gerade verlassen wollte, persönlich zum Ausgang folgte. „Sind Sie Frau Sumalvico? Ich habe gerade Ihre MRT Bilder gesehen und würde gerne mit Ihnen darüber sprechen.“ Er nahm mich mit […]
Zwischen Hamburg und Syrakus
Es begann im Dezember 2022: Ich fuhr zum Abschluss eines weiteren intensiven und herausfordernden Jahres noch einmal ins geliebte Siracusa. Ist doch klar, dass ich endlich einmal das große Spektakel zu Ehren unserer Schutzheiligen, Santa Lucia, miterleben musste. Zudem wollte ich auch dem Hamburgischen Adventstreiben entfliehen, in diesem ersten Jahr, in dem wir Weihnachten nicht […]