Die letzten Wochen waren hart. Ich habe mich ausgeliefert gefühlt und unendlich schwach.
Mein Immer-noch-Ehemann F. spürt genau, wie es mir geht. Natürlich. Wir kennen uns seit über zwanzig Jahren. Eines frühen Abends bin ich komplett zusammengebrochen, habe nur noch geweint und gezittert, hatte weder Lebensmut noch -willen. Wofür denn das alles, wenn ich doch allein und ungeliebt war?! Der Vater meiner zweiten Tochter war zur Stelle und hat mir eine halbe Tablette Tavor verabreicht. Er ist als Arzt von jeher sehr vorsichtig, was die Dosierung jeglicher Medikamente angeht. Da ich wegen der Schmerzen im unteren Rücken ein Fentanylpflaster trage, war er noch vorsichtiger und bat F., mich nicht alleine zu lassen.
Ich bin umgehend auf dem Sofa eingeschlafen und erst gegen Mitternacht wieder aufgewacht. F. schlief in meinem Bett. So kuschelte ich mich seit Monaten zum ersten Mal wieder an meinen eigentlich vertrautesten Mann und schlief selig und süß bis in den frühen Morgen. Als wir aufwachten, fanden wir die Situation beide absurd, zugeich aber auch sehr schön, nah und vertraut. Mein Stolz spielte einfach keine Rolle mehr. Ich brauchte Schutz und Halt. Uns wurde beiden klar, dass ich es alleine nicht schaffen würde, die Wochen bis zur Hochdosischemo durchzustehen. Ganz selbstvertändlich rückte F. in dieser Ausnahmesituation wieder näher an mich heran und versprach, für mich da zu sein.
Mein geliebter Photograph checkte leider überhaupt nicht, wie es mir ging und dass ich ihn dringend bräuchte. Seine Schultern konnten noch so breit sein, ich hatte dort keinen Platz, mich anzulehnen. Ich war enttäuscht und traurig. Fühlte mich im Stich gelassen, jetzt, als es darauf ankam. Außer unverbindlicher Korrespondenz ging eben einfach im echten Leben nichts. Das hatte er mir ja immer gesagt. Trotzdem hatte es sich drei Jahre lang anders angefühlt und er war meine Bezugsperson Nummer 1.
F. überlegte sich für jeden Sonntag eine schöne spätsommerliche Ausfahrt mit seinem Morris Minor (Baujahr 1957). Raus aus der Stadt. Bäume und Gewässer. Er sagte, davon würde ich zehren können, wenn ich im Krankenhaus liege. Für mich war vorranging, die Einsamkeit zu durchbrechen, denn sie ist der fetteste Nährboden der Angst. Unterwegs am Schaalsee – wir konnten sogar noch schwimmen – oder in Plön vergaß ich stundenlang, was mir bevorstand. Ganz am Ende der Pinzeninsel im Plöner See steht eine Schaukel, auf der ich ausgelassen in die Abendsonne schwang – fast so schön, wie auf der kleinen autofreien kroatischen Insel Silba oder der übergroßen Schaukel in Ascona am Lago Maggiore im vorvorigen Sommer. Wie unendlich frei und glücklich war ich dort am Ende meiner fünfwöchigen Abenteuerreise durch Kroatien, nicht ahnend, wie schwer krank ich da bestimmt bereits war.
Eine Antwort
Einen großen Dank an Frank!