Summer in the city. Ich treffe die Künstlerin Judith Boy, höre ein Insektenkonzert und der gesamte Tag entwickelt sich zu einem der schönsten nach langer Zeit
Judith Boy und ich haben uns im letzten Oktober in den Kommentaren einer Taueranzeige kennengelernt. Ich saß auf dem Felsen in Siracusa und las fassungslos: Der von mir sehr verehrte sizilianische Maler Momò Calascibetta war an einem Mückenstich gestorben. Als erster Sizilianer wurde er mit dem für ältere oder vorerkrankte Menschen tödlichen West-Nil-Fieber infiziert.
Judith und ich waren beide tief betroffen und fingen an, uns auszutauschen. Seither folgen wir uns auf unseren Social Media Kanälen und schicken uns hin und wieder privat kleine Nachrichten. Wir verfolgen gegenseitig unsere künstlerischen Arbeiten und kulturpädagogischen Projekte. Als Judith ihr Bild FRUX auf Facebook vorstellte: drei miteinander verbundene Passionsfrüchte auf goldgelben Untergrund, wusste ich sofort, dieses Bild muss an der blauen Wand meiner Küche hängen.
Gelb war nie meine Farbe. Natürlich beeinflusst auch mich bestimmt unterschwellig der aktuelle modische Gelbtrend. Zusätzlich symbolisiert die Farbe jetzt aber die Zugehörigkeit zu an Blutkrebs Erkrankten. Die Aidsschleife ist rot, Brustkrebs ist pink. Wir sind die Gelben. Auch hier registriere ich ein bisschen amüsiert, dass ich immer mehr Gelbes um mich wahrnehme und ansammle. Heute trage ich eine glänzende goldgelbe Hose. Schon allein, weil ich diese Farbe für immer mit Judith und meinem Bild verbinde. So eine Hose hätte ich mir vor einem dreiviertel Jahr niemals gekauft. Ich hätte gar nicht den Mut gehabt, ein so auffälliges Stück zu tragen. Letzte Woche, nach der Chemo, sah ich sie in einem Schaufenster und kam nicht daran vorbei.
Mit Judith war es als kennten wir uns schon immer. Wir saßen im romantischen Hinterfhof des Cafés Koppel in St. Georg und quatschten einfach drauf los – beide total erfreut darüber, in unserem Alter eine neue Freundin zu finden und darüber, dass wir uns durch Momòs Todesanzeige gefunden haben. Das ist genau der schwarze Humor, der aus fast all seinen Bildern spricht.
Dass ich nach meinem Sturz auf der Langen Reihe vor fast genau einem Monat und der Bänderdehnung vor zwei Wochen nun wieder und so viel besser in St Georg unterwegs bin, macht mich unsagbar fröhlich. Dass ich für das Treffen nicht um die Alster radeln konnte, ist zwar schade, wäre aber nach den beiden zurückliegenden Wochen zu viel erwartet. Ich bin einfach nur froh, dass ich es überhaupt geschafft habe, unterwegs zu sein. Auf dem Nachhauseweg merke ich, wie anstrengend dieser Ausflug tatsächlich ist. Ich bin innerlich ganz zittrig und wackelig. Ich schaffe es noch, Fotos für die Geburtstagseinladungen meines Vaters auszudrucken. Er wird Anfang August 80 und ich habe Freude, ihm schöne Einladungskarten zu basteln. Zuhause angekommen lege ich mich umgehend hin und schlafe für zwei Stunden tief und fest ein. Wie wunderbar, das einfach zu dürfen und zu können. Heute bin ich einfach nur für mich zuständig. Mein Sohn ist bei seinem Vater. Ich koche mir eins meiner Lieblingsessen, das niemand außer mir mag: ein Perlgraupenrisotto mit Fenchel und kleinen Klößchen aus Salsicce. Was für ein Fest. Der Tag wird immer besser, geradezu luxuriös. Und fast fühle ich mich ein bisschen übermütig, dass ich abends noch mit W+D zu einem experimentellen Konzert gehe. Die Hamburger Stimmkünstlerin Frauke Aulbert präsentiert Insektengesänge. Entgegen meiner Erwartung kein bisschen anstrengend, sondern spannend, sogar eingängig und angenehm im Ohr. Die Künstlerin trägt übrigens ein gelbes Kleid zu ihren roten Locken.
Eigentlich sind es lauter völlig normale Unternehmungen, die man so machen kann an einem Samstag, im Juni, in der Großstadt. Aber für mich sind sie nach lang empfundener Durststrecke wirklich etwas Besonderes. Nach dem Konzert sitzen wir noch lange daußen vor einer Bar und ich trinke einen der leckersten Cocktails, den ich je hatte…mit Pistazienlikör und Absinth.
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