Ich sitze in der Psychoonkologischen Ambulanz des UKE und bin total nervös. Ich warte auf meinen Kunsttherapeuten. Er kommt mich zur ersten Sitzung abholen, um mir den Weg in den Kunstraum zu zeigen.
Ich hatte mir sofort gewünscht, auf seine Warteliste gesetzt zu werden, als ich las, dass ich die Möglichkeit hätte, kunsttherapeutisch begleitet zu werden. Jetzt, drei Monate später, ist es soweit. Es zieht mich sehr hin zu den Farben, zugleich bin völlig gehemmt, dieser Sehnsucht nachzugehen. Meine jüngere Halbschwester hat Kunst studiert, ist Malerin. Schon als kleines Mädchen konnte sie ganz wundervoll malen und meine Bilder waren neben ihren immer recht dürftig. Vielleicht waren es einfach normale Kinderbilder. Ich stellte aber das freiwillige, vergnügliche Malen noch in der Grundschulzeit ein. Der Kunsunterricht in der Schule wurde erst in der Oberstufe, als es um Kunstgeschichte und Architektur ging, wieder schön. Da musste ich mein Können – oder Nichtkönnen – nicht unter Beweis stellen.
Mein erster Freund, der Vater meiner ältesten Tochter, ist ebenfalls ein begnadeter Künstler. In unserer gemeinsamen Braunschweiger Zeit begann ich noch mal, großflächig mit Farben zu experimentieren. In meiner letzten dortigen Wohnung hatte ich ein rundes Wandbild, nach Vorlage alter ägyptischer Zeichnungen kleiner Geschichten, in den Flur gemalt. In Blau- und Brauntönen mit goldenen Details. Direkt auf die vorhandene Rauhfasertapete. Ich verabeitete dort, wenn mein Töchterchen schlief, meine Erlebnisse, in winzigen Strichmännchenzeichnungen, die spiralförmig über die Wand tanzten, liebten, litten.
Vor allem aber bekämpfte ich mit dem Malen meine Einsamkeit, als alleinerziehende Mutter, Abend für Abend alleine zu Hause ausharren zu müssen.
Mein Vater erinnert sich vor allen Dingen, an die saumäßige Arbeit, mein Werk beim Auszug von der Wand kratzen zu müssen. Ich bin bis heute froh, dass er mir damals geholfen hat.
Die Fähigkeiten und Möglichkeiten des Ausdrucks bildender Künsterinnen und Künstler haben mich schon immer tief beeindruckt. Ich beneide sie darum, ihre inneren Bilder nach außen transportieren zu können. Meine eigenen inneren Bilder sind so stark, mein Gedächtnis ist fotografisch, aber ich scheitere kläglich daran, wirklich das sichtbar werden zu lassen, was ich vor meinem inneren Auge habe. Die Sehnsucht nach Ausdruck, meine Suche danach, begleitet mich durch mein Leben, seit ich zum ersten mal mit 13 oder 14 bewusst darüber nachdachte.
Herr R. – wir siezen uns, er ist wesentlich jünger als ich und ich finde es total albern – bietet mir an, mit flüssigen Aquarellfarben auf nassem Papier zu probieren. Ich bin entzückt von den vielen schönen Farbfläschchen, die er auf den großen Tisch stellt. Ich „male“ Wasser, werde ganz sanft, obwohl mich seine Fragen zu meiner Situation auch ziemlich aufwühlen. Es ist eine Welle von Schmerz und Schönheit, die da übers Papier fließt. Herr R. scheint mir schon bei bei unserer ersten Begegnung in die Seele zu schauen. Seine feinen Bemerkungen reflektieren meinen Zustand. Ich erzähle ihm von meinem wiederkehrenden Traum, unheilbar krank zu sein und zur Heilung mit Fischen zu schwimmen. Sehr schnell wird klar, dass die Heilefischchen in dieses erste Bild müssen.
Ich schreibe diesen Text nachträglich und kann deswegen sagen: Mir werden in den drei Wochen bis zum nächsten Therapietermin nach der Chemo mit Cyclophosphamid die Haare teilweise ausfallen. Ich verliere nicht alle, aber so viele, dass ich mir die verbliebenen von meiner Friseurin kurz schneiden und blondieren lasse. Ich nehme mir ein paar Haare mit und klebe sie später wellenförmig ins Fischebild.
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