Es begann im Dezember 2022:
Ich fuhr zum Abschluss eines weiteren intensiven und herausfordernden Jahres noch einmal ins geliebte Siracusa. Ist doch klar, dass ich endlich einmal das große Spektakel zu Ehren unserer Schutzheiligen, Santa Lucia, miterleben musste. Zudem wollte ich auch dem Hamburgischen Adventstreiben entfliehen, in diesem ersten Jahr, in dem wir Weihnachten nicht „wie immer“, nicht mehr als komplette Familie feiern würden. Mein Mann hatte sich im Frühjahr so ernsthaft in eine 38ig jährige Persische Prinzessin – schön bis zum Mond und wieder zurück – verliebt, dass ich – finalmente – kampflos das Feld geräumt hatte. Seit April waren sie ein Paar und ich durch kleine Fegefeuer verletzter Eitelkeit und Selbstmitleid getanzt. Ostern war so furchtbar! Das sollte mir zu Weihnachten nicht noch mal passieren.
Außerdem wollte ich ja einen zweiten Teil meines Sizilien-Buches schreiben, erzählen wie ich immer mehr ankomme im wundervollen Syrakus und immer weniger eine Fremde dort bin.

Am Ende meiner kostbaren und nicht ausschließlich in kulinarischer Hinsicht köstlichen zwei Wochen, bekam ich Schmerzen im Kreuzbein. „Sex injuries“, zog T. mich auf und ich kokettierte mit meinem Alter. Ich flog also mit diesem Souvenir der besonderen Art nach Hause. Die vermeintliche Ursache meiner Rückenschmerzen konnte ich dort natürlich kaum jemandem anvertrauen. Beziehungsstatus: viel zu kompliziert. In erster Linie für mich und vor mir selbst.
Ich schleppte mich in Hamburg noch vier Tage durch das triste deutsche Dezemberwetter, um am 23.12. nach Usedom weiterzureisen. Dort hatten meine drei Kinder und ich uns im alten Bahnhofsgebäude von Heringsdorf einquartiert, um unser erstes anderes Weihnachten zu verbringen. Zuhause hingen zu viele Erinnerungen. Die ganze Familiengeschichte. Meine lieben Kinder, die Weihnachten, wie alle Kinder, egal wie alt sie sind, am liebsten genau wie immer feiern wollten, hatten verstanden und aktiv den neuen Weg mit mir beschritten. Ich war froh, dass ich eine Wohnung mit großer Eckbadewanne gebucht hatte. Nun würde ich zur Ruhe kommen. Den schmerzenden Rücken im warmen Wasser entspannen. Dieses Jahr, das es tatsächlich geschafft hatte, die beiden vorangegangenen Pandemiejahre in den Schatten zu stellen, in Gelächter und Gelage ausklingen lassen. Wir wollten fünf Tage nichts anderes machen, als Strandspaziergänge, lesen, spielen und natürlich kochen und essen. Dieser Plan ging nur halbwegs auf. Meine Selbstironie wich Selbstvorwürfen und einem verdammt schlechten Gewissen. Meine Schmerzen wurden immer stärker. Ich verhunzte hier geraden meinen Kindern den Weihnachtsurlaub. Sie machten sich natürlich Sorgen. Als am ersten Weihnachtstag Sensibilitätsstörungen im Becken dazukamen, setzte ich mich in die Bäderbahn und fuhr ins Kreiskrankenhaus nach Wolgast. Der diensthabende Arzt nahm mich sehr ernst. Genau wie ich vermutete er einen Bandscheibenvorfall. Er hängte mir also einen wunderbaren Schmerzmitteltropf an und verkündete, ich bräuchte eigentlich umgehend ein MRT. Leider verfügten sie nicht über ein solches Gerät im Haus. Nach Weihnachten könne er mich nach Greifswald in die Uniklinik überweisen. Nach Weihnachten werde ich mich in Hamburg in der Uniklinik vorstellen, erwiderte ich, bekam eine ordentliche Ration Schmerzmittel to go und fuhr wieder die ganze Insel hinunter bis Heringsdorf. Usedom lag in tiefem friedlichem Schlaf unter eine dicken Nebeldecke und dese Infusion wirkte vergleichbar wattierend.

Unterwegs hörte meine Dirty Blues Playlist von T. Eigentlich trotzdem alles noch ganz schön. Na gut, ich war ein bisschen sauer, dass ich so eine fette Quittung bekam, bloß weil ich noch einmal anfing zu leben, mich als Frau gefeiert hatte (bis der Arzt…naja, lass ich diesen Galgenhumor). Das war absolut ungerecht. Aber irgendwas musste es ja auch bedeuten, irgendwas würde ich schon daraus zu lernen haben…
Die Kinder haben unser aufwendiges vegetarisches Weihnachtsessen gekocht, während ich auf dem Sofa lag. Auch diese Erfahrung war doch eigentlich richtig gut. Das Essen übrigens auch! Gut, dass sie groß sind und alle fast erwachsen. Ich erinnerte mich an Migräneanfälle als Alleinerziehende mit zwei Kindern, eins davon ein Baby. Das hier war also vergleichsweise überschaubar und ich dankbar für diese Prachtkinder.
Am Abend des zweiten Weihnachtstages bekamen die Schmerzen eine neue Qualität. Brennend. Vernichtend. Schmerzen, wie ich sie bisher nur beobachtend von Patienten in meiner Zeit als Krankenschwester und als pflegende Angehörige meiner krebskranken Stiefmutter kannte. Mir schwante nichts Gutes.
2 Antworten
Liebe Maria, vielen Dank für Deinen berührenden Kommentar. Ich schreibe hier immer weiter, sowie ich gerade dazu in der Lage bin. Du bist mir ja schon viele Schritte voraus…und ich kann Dir im Moment nur sagen: Ich habe gewaltige Angst vor der bevorstehenden Hochdosischemo und davor, wie ich mich danach fühlen werde.
Dass Du Dich, trotz der Unterstützung von Familie und Freunde oft allein fühlst, kann ich sehr gut nachvollziehen.
Ich weiß ja nicht, wo Du lebst, aber gibt es in Deiner Nähe eine Selbsthilfegruppe?
Ich sende herzliche Grüße, wünsche Dir alles Gute und dass Du Kraftquellen für Dich findest.
Liebe Judith,
Ich bin heute auf dein Tagebuch gestoßen und gefesselt von deinem Schreibstil!
Januar ‚ 21 habe ich die Diagnose Multiples Myelom bekommen. Meine wunderbare Familie und meine unglaublich guten Freunde, haben mich durch die Zeit der Therapie getragen. Trotzdem fühle ich mich oft allein und gefesselt in meinem Körper.
Ich würde sehr gerne teilhaben an deine Geschichte.
Allerherzlichste Grüße
Maria Kohl