Ein halbes Jahr und einen Tag nach meinem Geburtstag bekomme ich meine aufgetauten Stammzellen zurück. Einige Leute, die ich aus Internetforen oder der Myelom-Selbsthilfegruppe kenne, nennen diesen Tag ihren zweiten Geburtstag.
Das alte System, das den Lebenssaft bildete, wurde durch die Hochdosisgabe Melphalan abgeschaltet. Heute folgt also der Reset.
Gegen halb elf klopft es und ein junger Mann schiebt eine Art Teewagen herein, während er gleichzeitig einen dieser runden Gefrierbehälter hinter sich herzieht. Dr. K. folgt der Prozession feierlich und verkündet: „Nun ist es soweit.“ Sein Mitarbeiter, ich vermute, er ist Medizinisch-Technischer Assistent (MTA) aus der Abteilung für Transfusionsmedizin, sucht zunächst eine Steckdose und schließt das auf dem Teewagen bereitstehende Wasserbad an.
Danach öffnet er den Kühlcontainer, aus dem Eisnebel entweicht, und befördert einen proportional ziemlich winzig wirkenden Transfusionsbeutel aus arktischer Tiefe. Er hält ihn hoch, präsentiert ihn dem Doktor und mir. Sie verlesen laut eine längere Zahlenkombination, gleichen die Daten auf einem Dokument mit denen auf dem Beutel ab. Zuletzt muss ich meinen Namen und mein Geburtstdatum bestätigen. Zufrieden, dass alles übereinstimmt, legt der junge Mann den Beutel ins Wasserbad. Wie in einen Fläschchenwärmer, denke ich. Das Auftauen dauert nicht lange. Dr. K. desinfiziert währenddessen seine Hände und dann bin ich einen Moment lang irritert, dass der MTA meine Stammzellen in eine 50-ml-Spritze aufzieht. In allen YouTube-Videos aus anderen Kliniken wurde den Patient:innen der Beutel direkt an den zentralen Venenkatheter (ZVK) angeschlossen. Dr. K. erklärt mir, dass sie es hier anders handhaben, falls ich allergisch auf die Konservierungsstoffe reagiere, die meinen Stammzellen beigemengt wurden. Er spritzt mir sie mir also und zwar ganz langsam. So, wie ich es von den Gaben des monoklonalen Antikörpers Daratumumab während der ambulanten Induktionstherapie kenne. Dr. K. ist der einzige Arzt dieser Station, der während seiner kurzen Besuche versucht, so etwas wie einen persönlichen und warmherzigen Kontakt herzustellen. Er hatte schon beim Kennenlernen über meinen Nachnamen einen gemeinsamen Bezug zur Schweiz gefunden. Seine letzte Stelle, bevor er vor einem halben Jahr nach Hamburg kam, hatte er in Zürich. Heute fragt er mich nach meinen Kindern, möche wissen, wo sie leben, was sie studieren oder arbeiten – „Ah, an der Uni Halle, da habe ich selbst auch studiert. Die Nähe zu Leipzig war toll.“ Und schwupps ist die erste Spritze verabreicht. Es folgt eine weitere, in der wir uns gemeinsam darüber freuen, dass diese Stammzellen so clever sind, den Weg zurück ins Knochenmark zu finden und ihre Arbeit nach ihrem mehrwöchigen Dornröschenschlaf wieder aufnehmen, als sei nichts gewesen. Bis dahin dauert es allerdings ein paar Tage, in denen ich jetzt ins sogenannte Zelltief abrauschen werde. Die verbliebenen Stammzellen gingen durchs Melphalan zugrunde und die neuen müssen ihre Arbeit erst wieder aufnehmen. Er wünscht mir alles Gute und Durchhaltevermögen. Es sei bald geschafft. Dann ziehen die beiden wieder ab. Und ich liege da mit meinen alten neuen Stammzellen, zu schwach, um mich richtig zu freuen. Außerdem war das Ganze, bis auf den Aufmarsch zu Anfang, doch recht unspektakulär. Eigentlich sollten jetzt Wunderkerzen sprühen und mindestens ein Sektkorken knallen. Na, vielleicht heute in einem Jahr.
Eine Antwort
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