„Das ist leider kein Bandscheibenvorfall, Frau Sumalvico.“
Dass es sich tatsächlich um nichts Gutes handelt, wurde mir schlagartig klar, als mir der Radiologe, dessen Praxis ich gerade verlassen wollte, persönlich zum Ausgang folgte.
„Sind Sie Frau Sumalvico? Ich habe gerade Ihre MRT Bilder gesehen und würde gerne mit Ihnen darüber sprechen.“ Er nahm mich mit in sein Arbeitszimmer. Richtige Sprechzimmer brauchen Radiologen ja selten. Da saß also ich auf einem nach Leder duftenden Besucherstuhl und sah einem ziemlich gutaussehendem Mann in sehr warme Augen. „Das ist leider kein Bandscheibenvorfall, Frau Sumalvico.“ Sein einleitender Satz war der letzte, dem ich folgen konnte. Mein Hirn schaltete in seine Kommentarfunktionen: Pass auf jetzt sagt er Dir gleich, dass Du Krebs hast. Du wirst ihn zwar hören, aber es wird nicht zu Dir durchdringen. Hast Du oft gelesen oder im Film gesehen, diesen Moment der Überforderung und einsetzender Schutzmechanismen. Funktioniert auch in Dir so. In dieser Situation bist Du jetzt gerade.
Ich versuchte, den Anschluss zu bekommen, sammelte mühsam Worte wie Spinalkanal, drohend, massiv, Raumforderung, Metastase, umgehend, Einweisung auf. Der Radiologe versicherte sich, ob ich ihm hatte folgen können. Ich nickte schwach. Er erhob sich, groß, schwer, etwas tapsig und ich bedauerte, ihm im falschen Setting zu begegnen. Er sah so aus, als könne er mich vor allem beschützen, was jetzt da draußen auf mich wartete, sobald ich seine Praxis verließ. Erst draußen am Fahrradständer, zwischen Apotheke und Drogeriemarkt, kam ich wieder im Echtzeitmodus an.
Ich durfte kurz nach Hause, um mir ein paar Sachen zu holen und meine Familie zu informieren. Dann sollte ich mich als Notfall in der Neurochirurgischen Ambulanz der Uniklinik vorstellen. Die NA lag hier genau gegenüber. Ich stand mit dem Rücken zu ihr. Seit über 20 Jahren wohne ich in unmittelbarer Nachbarschaft des Universitätskrankenhauses Eppendorf (UKE). Arbeits- und Schulwege führten mich und meine Familie tagein tagaus über das öffentliche Gelände, manchmal auch nachts mit einem Kind in die Kinderklinik. Zumindest ist mir hier alles ziemlich vertraut – wie Krankenhäuser ja ohnehin für mich, als ausgebildete Krankenschwester, nichts Beängstigendes, eher etwas Faszinierendes und Rettendes haben. Noch immer. Obwohl ich natürlich ziemlich genau weiß, wie gefährlich Medizin und Pflege unter den heute noch grausameren wirtschaftlichen Vorgaben, ganz schnell werden können. Vermutlich sind sie es bereits in vielen Bereichen.