wieder ein herrlicher Sommertag, an dem ich nicht vor die Tür komme. Die Schmerzen fressen
mich auf (und ich zu viel Süßkram)
Ich wache um vier auf und bin völlig verquollen im Gesicht. Meine Nase ist verstopft, ich habe
Schmerzen im Hinterkopf und Nacken, bin total verspannt. Ich beschließe, liegen zu bleiben und zu
dösen. Um sechs nehme ich die Magenschutztablette als erstes Frühstück ein und stehe auf.
Zumindest versuche ich zu stehen. Es ist kaum möglich, ohne vor Schmerz an die Decke zu gehen.
Trotzdem presse ich mir meine Zitrone aus. Ich habe mich so an diesen Shot gewöhnt, dass er mir
wirklich fehlt, wenn ich ausnahmsweise mal keine Zitrone mehr im Haus habe. Ich merke, dass
dieser Tag kein guter wird. Gestern Abend bin ich noch zwei Runden durch den Park gegangen,
heute geht irgendwie gar nichts. Nach und nach nehme ich alle verordneten Medikamente ein,
darunter prophylaktisch ein Antibiotikum und Aciclovir zum Schutz gegen Gürtelrose. Allein die
Begleitmedikamente der Chemo sind eigentlich zu viel für meinen sehr sensibel auf Medikamente
reagierenden Körper. Ich spüre, dass er eigentlich genug hat. Wie man, bestenfalls, beim Trinken
merkt, dass man genug hat. Er will nichts mehr von alledem in sich aufnehmen. Ich spüre es und
muss darüber hinweggehen. Zum Ausgleich presse ich weiterhin jeden Morgen erst ne Zitrone,
später Gemüse- oder Obstsaft. Ich kann oft kaum stehen, aber ich will es unbedingt machen.
Und so geht es weiter. Jede noch so kleinste Alltagsverrichtung kostet unsagbar viel Mühe und
Kraft. Vor der unteren Etage des Geschirrspülers entwickle ich regelrecht Angst. Schlimm daran ist,
dass ich es nicht mehr ins Lächerliche ziehen kann, sondern losheule. Solche Angst, bald nicht mehr
gehen zu können. Kein „normales Leben“ mehr führen zu können.
Heute jedenfalls schaff ich es mit Ach und Krach aufs Klo. Es kostet mich solche Überwindung,
vom Sofa aufzustehen und die schmerzhafte Reise ins Bad anzutreten. Wird das jetzt so bleiben?
Oder wird es noch schlimmer? Seit fünf Monaten, nehme ich Sensibiltätsstörungen und Schmerzen
hin, die im Grunde nicht tolerierbar sind. Seit Wochen werden die Schmerzen stärker und ich immer
schwächer.
Bin ich jetzt schon an dem Punkt an dem ich sage, meine Lebensqualität ist zu schlecht?
Der wirklich dicke Batzen, die Hochdosischemo, liegt doch noch vor mir.
Ich versuche – tapfer, immer weiter, produktiv bleiben! – den Tag dafür zu nutzen, mit meinen
Blogeinträgen endlich beim heutigen Datum anzukommen. Schreibend der sich ausbreitenden
Verzweiflung zu entrinnen. Ressourcen nutzen kann ich doch eigentlich ganz gut?! Zumindest
bisher war es eine meiner Stärken, immer das Beste aus allem zu machen.
Auf Instagram findet mich ein Aufruf für gegenseitige Buchrezensionen des kleinen
Literaturverlages prosa:ist:innen. Meine kurze Interessensbekundung ist eine schwere Geburt.
Ich kann kaum aus den Augen schauen, sehe verschwommen und doppelt. Das ist eine der
Nebenwirkungen des nervenwirksamen Schmerzmittels Gabapentin, das eigentlich ein
Neuroleptikum ist. Alle Worte, die ich wähle, klingen irgendwie hohl. Wenn Worte nicht mehr von
innen heraus leuchten, wenn sie nicht mehr in meine Sätze tanzen, stimmt was nicht. Dieser Sirup
in den Synapsen macht mich irre.
Nicht gehen, nicht radeln, nicht tanzen zu können, ist das eine. Es ist so hart für mich, zum
Rumsitzen oder Rumliegen verdammt zu sein. Aber wenn ich nicht mehr denken, wenn ich nicht
mehr schreiben kann, weil ich voller Opiate bin, ist das nicht mehr mein Leben. Ich weine, obwohl
die Kinder da sind. Das wollte ich nicht.
Nächste Woche habe ich einen Termin in der Schmerzambulanz des UKE..