Ich wache an diesem klirrend kalten Novembermorgen auf und bin wütend. Wütend und enttäuscht, was mir das Schicksal zumutet. SO soll ich jetzt weiterleben?! Ohne meinen Frohsinn, ohne mein inneres Leuchten?! Ich bin nicht nur wütend auf den Krebs, ich bin auch wütend auf M.
Im ersten Moment war ich erschrocken, so aufzuwachen, aber je länger ich das Gefühl beobachte, desto mehr Freude schleicht sich ein. Wut ist ja ungeheuer lebendig. Sie lodert. Wütend auf „den Krebs“ wollte ich von Anfang an nicht sein. Der ist ja ein Stück von mir, die Notbremse, die meine Seele gezogen hat. Ich bin also eher wütend darauf, in welchem Zustand mich die überstandene Therapie zurück ins Leben stellt und darüber, dass ich jetzt bitte weiterfunktionieren soll. In diesem zerstörten, immer noch geschwächten Zustand.
Klar, dass ich wütend auf mich selbst bin, mich so weit vernachlässigt und runtergerockt zu haben, dass meine „Säfte“ derart im Ungleichgewicht waren, dass Myelomzellen wachsen konnten. Dabei hatte ich doch unmittelbar vor Diagnosestellung begonnen, besser für mich zu sorgen, war regelrecht aufgeblüht, strahlte und leuchtete – und das nur wenige Monate nach der Trennung von F. Ich wurde doch endlich wieder ich selbst. Reiste, schrieb.
Hier setzt meine Wut auf M an, der meine innere Schönheit einfach nicht wahrgenommen hat. Weder mein Leuchten sah er, noch welche einzigartige Kostbarkeit die Verbindung unserer Seelen ist, die er ja immerhin rund um die Uhr und rund um den Globus pflegt. Die wunderschönen Texte, die ich ihm schrieb, berührten andere weit mehr als ihn. Er hatte sich verschlossen und nicht mal meine Seelensternchen konnten zu ihm durchdringen. Geht es ihm nur um meinen Applaus? Trinkt er sich satt an meiner Liebe, ohne mich zu ehren?
Ich habe kein Recht wütend auf ihn zu sein. Ich wusste ja vorher um seinen Zustand. Enttäuschung ist gerechtfertigt. Trauer auch.
Also gut: Ich bin wütend und enttäuscht über den Tümmerhaufen meines Lebens, meiner Lieben.
Ich spiele „Finde den Fehler“: Erstens, es muss die Fehler heißen. Was alles habe ich falsch gemacht, wann hab ich welche falschen Entscheidungen getroffen und warum? Zweitens, welches Muster erkenne ich? Drittens, warum fällt mich das jetzt an? Als ich die Diagnose bekam und mich intensiv mit meiner Endlichkeit beschäftigte, stand doch die Dankbarkeit für all das, was ich intensiv gelebt hatte, im Vordergrund. Ich war im Frieden mit mir und meinem Leben. Was soll ich jetzt mit dieser Wut? Stimmt es denn, dass mein Leben ein Trümmerhaufen ist? Ist das nicht undankbar? Ist es nicht, wie immer, eine Frage der Perspektive und inneren Bewertung? Klar nach westlichem, weißem Standard bin ich ein armes Kirchenmäuslein. Geringverdienerin. Habe weder eine Karriere geschafft, noch eine Ehe. Infolgedessen weder Haus noch finanzielles Polster. Wenn ich jetzt bald hätte sterben müssen, weil es keine Therapie gäbe oder ich sie abgelehnt hätte, wär’ das doch eh wurscht. Das letzte Hemd hat keine Taschen.
Und wie geht es weit größeren Teilen der Weltbvölkerung?!
Ich habe drei gesunde und superkluge Kinder. Wir alle haben ausgesprochen herzliche Verbindungen mit- und untereinander. Fühlt sich nach wahrem Reichtum an. Die innige Verbundenheit mit meinen Freundinnen und Freunden auch.
Es geht mir tatsächlich nur darum, dass meine innere Schönheit, mein Herz aus Gold, den Glanz verliert, weil ich mich so zerstört fühle. Als lägen die Herzkammern voller Vulkanasche.
Wozu will mich diese Wut auffordern? Sie zieht und zerrt an mir, schiebt mich, will, dass ich mich bewege. Die letzten Wochen waren furchtbar zäh. Ich war seelisch gelähmt. Vielleicht möchte sie mich zurück in meine Lebendigkeit schubsen. Sie drückt mir Schaufel und Besen in die Hand, dass ich der Asche Herrin werde. Sie hat sogar ihren kleinen Bruder Trotz mitgebracht. In seinen Augen lese ich: „Na und ist mir doch egal. Soll dieser M doch versauern. Du konntest schon leuchten, bevor Du ihn kanntest. Du brauchst ihn doch gar nicht dafür.“ Mit das Schlimmste ist, dass M ihm Recht geben wird, dass am Ende also ich die Dumme bin.
Ich denke zum ersten Mal darüber nach, welches Reinigungsritual so ein Phönix wohl durchführen muss, damit er sich wieder aus der Asche erheben kann. Das ist vermutlich langwierig. Und ich denke – Reinigungsritual – an ihre Majestät Etna, die gerade auf ihren weißen Rock menstruriert – mit etwas Glück sehe ich es noch, wenn ich in knapp einer Woche im Dunkeln an ihr vorbeifliege.
4 Antworten
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